Quelle: Kirchengemeinde Hesel

Grußwort

Nachricht 16. November 2025

Neu sehen

Kleinen Kindern beim Staunen zu zusehen - ein wunderbares Geschenk. Ihr Blick auf die Welt: Mit wachen Augen, ungetrübt von Gewohnheit oder Müdigkeit saugen sie die Überfülle der Eindrücke auf. Jeder Stein ein Schatz, jeder Lichtschein ein Abenteuer. Sie sehen nicht, sie entdecken.
Vielleicht berührt mich diese Beobachtung so tief, weil sie uns an etwas erinnert, das wir selbst auch einmal konnten: voller Neugier die Welt mit hoffnungsvollen Augen zu sehen.
Am Jahresanfang, wenn der Kalender umspringt und wir ins neue Jahr blicken, bekommen wir für ein paar Stunden eine Ahnung davon zurück.

Der 1. Januar unterscheidet sich zwar kaum vom 31. Dezember, dieselben Menschen, dasselbe Wetter, die gleiche Welt. Und dennoch fühlt sich dieser Übergang in irgendeiner Weise bedeutsam an. Rückblick und Ausblick berühren sich, Vergangenheit und Zukunft fließen ineinander. In diesen Augenblick fällt ein Satz aus der Offenbarung des Johannes:
„Siehe, ich mache alles neu.“
(Offenbarung 21,5)
Große Worte. Vielleicht zu groß für unsere erschöpfte Zeit. Kein sanftes Trostwort, sondern ein radikaler Einspruch. Gesprochen in eine Welt, die sich im Zerfall befindet. Johannes sieht keine ideale Zukunft – sondern eine Gegenwart voller Erschütterung. Doch mitten in diesem Zusammenbruch hört er Gottes
Stimme. „Siehe, ich mache alles neu.“ Was hier als „neu“ angekündigt wird, ist kein schrittweises Update des Bestehenden, keine frisierte Variante des Alten. Es ist ein Bruch. Ein neuer Blick. Ein Ruf ins Licht.
Vielleicht liegt darin auch das Wechselspiel des Jahreswechsels: Öffnen wir uns für die Möglichkeit der Veränderung? Gottes Wort schafft Wirklichkeit durch einen neuen, veränderten Blick. Wir kennen es und sehen es nun wie zum ersten Mal. Alles ist schon da – und wartet darauf anders gesehen zu werden.
Das ist der Raum unseres Glaubens – in dem wir, wie beim Staunen der Kinder, neu sehen lernen und mit Zuversicht und Hoffnung ins neue Jahr gehen können.

Landesbischof Ralf Meister zur Jahreslosung 2026